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Lehman Brothers 2.0 – Wiederholt sich die Geschichte? 

Drohende Zahlungsausfälle bei chinesischem Immobilienkonzern: Gefahr für die Weltwirtschaft?

Der chinesische Immobilienkonzern Evergrande bestimmt momentan die internationalen Wirtschaftsnachrichten. Als einer der größten Immobilienentwickler der Welt steht er kurz vor Zahlungsausfällen – so urteilen alle relevanten Ratingagenturen. Seit Jahresanfang fiel der Aktienkurs deshalb um über 85 %. Die Firma gibt „beispiellose Schwierigkeiten“ zu, der Chef spricht vom „dunkelsten Moment“ in der Unternehmensgeschichte. 

Investoren und Analysten auf der gesamten Welt blicken ängstlich nach China. Am Montag machte sich das an den Börsen bemerkbar – wichtige Leitindizes wie der Dow Jones und der DAX verloren deutlich. Besonders hohe Verluste verzeichneten Immobilien- und Finanztitel. Bei vielen Akteuren geistern die Nachrichten der letzten Weltwirtschaftskrise durch den Kopf: Damals sorgte ein überhitzter Immobilienmarkt in den USA und die daraus resultierende Pleite der Bank Lehman Brothers für eine internationale Finanzkrise mit gravierenden wirtschaftlichen Verwerfungen. Die Parallelen sind eindeutig, auch die Krise des Konzerns Evergrande basiert auf einer Immobilienblase. Droht nun dasselbe Schicksal? Experten sind sich uneinig.  

Massive Zahlungsschwierigkeiten bei Chinas Immobiliengiganten Evergrande

Einig sind sich Analysten in der Beurteilung des Unternehmens Evergrande: Die Aktiengesellschaft ist in erheblichem Umfang überschuldet. Der Konzern weist Schulden in Höhe von 256 Milliarden Euro auf – seit Juni hat er zunehmend Probleme, Zins- und Tilgungsforderungen pünktlich zu begleichen. Das Management versucht verzweifelt, Vermögenswerte zu veräußern, um wieder über ausreichend liquide Mittel zu verfügen. Diesen Schritt hatten vor einigen Wochen die chinesische Zentralbank und die Finanzaufsicht angemahnt. Das Unternehmen findet bisher aber keine Käufer für seine Immobilienobjekte. 

Wie konnte es zu dieser misslichen Lage kommen? Der Konzern verzeichnet einen jährlichen Umsatz von rund 67 Milliarden Euro und arbeitet an rund 1.300 Projekten in über 280 Städten. Diese und andere Daten belegen eindrucksvoll, dass es sich um einen Big Player auf dem Immobilienmarkt handelt. Ein genauer Blick auf das Geschäftskonzept zeigt jedoch, wie riskant der Konzern wirtschaftet. Einige Spezialisten sprechen von einem Schneeballsystem. Kunden bezahlen ihre Wohnungen und Häuser im Voraus – mit dem eingenommenen Geld stellt die Firma andere Immobilienprojekte fertig. Die Kundenobjekte realisiert es erst mit weiteren Vorauszahlungen. Dieses System ist anfällig: Bleiben neue Kunden und damit Geldzahlungen aus, kann Evergrande die bereits bezahlten Immobilien nicht zu Ende bauen. Eine akute Zahlungskrise ist die unmittelbare Folge. 

Situation bei Evergrande erinnert an Lehman Brothers und die globale Finanzkrise 2008

Neben dem waghalsigen Geschäftskonzept kommt eine weitere Ursache hinzu: Bereits vor drei Jahren warnte der Internationale Währungsfonds vor einer Immobilienblase in China. Es gibt zwischen dem aktuellen chinesischen Immobilienmarkt und dem US-Markt vor der Lehman-Krise erschreckende Ähnlichkeiten: In beiden Ländern sorgten günstige und großzügig vergebene Immobilienkredite für einen Boom der Branche. Die Preise für Grundstücke und Häuser stiegen entsprechend stark – Käufer mussten immer höhere Schulden aufnehmen. In den USA fielen mangels Kaufinteressenten irgendwann die Preise, Eigentümer hatten keine Sicherheiten mehr. Die Schulden übertrafen den Gegenwert der Immobilie deutlich. Banken verbuchten bei Kreditausfällen enorme Verluste, weil die Häuser als vermeintliche Absicherung des Kredits nichts mehr wert waren. Lehman Brothers als wichtiger Akteur auf dem Markt an Immobilienfinanzierung ging deswegen insolvent – es folgte eine weltweite Kettenreaktion. 

Lehman Brothers und Evergrande: Experten weisen auf Unterschiede hin 

Die Lage bei Evergrande lässt Marktteilnehmer zittern: Erleben wir eine Wiederholung der Finanzkrise 2008? Ähnlichkeiten lassen sich nicht bestreiten, allerdings existieren auch einige Differenzen. Der wichtigste Punkt ist, dass es sich bei Evergrande um eine weitgehend innerchinesische Angelegenheit handelt. Gläubiger sind insbesondere der chinesische Staat, chinesische Kunden und Zulieferer. Es fehlt im Gegensatz zu 2008 die internationale Verflechtung – das beschränkt die Auswirkungen auf die globale Finanzwirtschaft. Aufgrund der räumlichen Begrenzung stehen die Chancen auch gut, dass der chinesische Staat negative Auswirkungen wie Insolvenzen bei Zulieferern verhindern kann. 

Probleme bei Evergrande: Unsicherheiten bleiben 

Trotz dieser positiven Prognosen einiger Experten empfiehlt sich Vorsicht: Niemand kann mit hundertprozentiger Sicherheit die weitere Entwicklung vorhersehen. Der Schuldenberg des Immobilienkonzerns ist gewaltig, zudem hängen viele Arbeitsplätze an den zahlreichen Bauprojekten. Bei einer Pleite verlieren darüber hinaus viele Privatkunden ihre Vorauszahlungen, was zu einem Konsumrückgang führen kann. Wenn diese Unternehmenskrise zu wirtschaftlichen Turbulenzen innerhalb Chinas führen würde, würde das auch die Weltwirtschaft betreffen: China ist zum Beispiel einer der größten Exportmärkte für deutsche Produkte.

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Autor: Ronny Wagner

Ronny Wagner ist Finanz-Blogger, Geldcoach, Inhaber des Edelmetallhändlers Noble Metal Factory und Gründer der „Schule des Geldes e.V.“. Er widmet sich seit 2008 dem Thema „Finanzbildung“ und hält das für einen Teil der Allgemeinbildung. Dabei ist sein Ziel, Menschen in finanziellen Fragestellungen auszubilden, um dadurch ein Leben in Wohlstand zu erreichen.